Urania Balatoni ist Weinhändlerin aus Brittnau. Im Interview verrät sie einige ihrer Erfolgsrezepte – und sagt, warum Frauen die nuancierteren Weintrinkerinnen sind. Das Gespräch bildet der letzte Teil einer Reihe von Interviews mit Aargauer Unternehmerinnen der Aargauer Zeitung.
Die Originalversion dieses Artikels erschien am 5. August 2024 im Zofinger Tagblatt und der Aargauer Zeitung.
«Balatonis Wyhuus» ist in einer ehemaligen Besenbeiz eingerichtet. In dem aufgeräumten, mit Holz verkleideten Verkaufsraum vertreibt Urania Balatoni nicht nur über 400 verschiedene Weine – hier kann ihre Kundschaft auch gemütlich zu Degustationen zusammensitzen. Denn Wein ist eine soziale Angelegenheit, findet sie.
Frau Balatoni, brauchen Sie viel Schlaf?
Urania Balatoni: Nicht besonders … Warum meinen Sie?
Sie sind Mitglied in acht Gewerbevereinen, sitzen in dreien davon im Vorstand, sind regelmässig in den OKs regionaler Gewerbeschauen und als Ausbildnerin bei den Weinfreunden St. Martin anzutreffen. Wer so viele Ehrenämter hat, wird zu wenig Schlaf kommen.
(Lacht) Klar, das ist viel Aufwand. Aber ich arbeite im Weinhandel, da muss das sein. Wenn ich mich engagiere, kennen mich die Leute und ich werde berücksichtigt. Die Gewerbeschauen etwa lösen jeweils wahnsinnig viel Resonanz aus.
Das Netzwerken scheint für Sie entscheidend zu sein…
Ja. Besonders im Regionalen. Dazu gehört aber auch die Kundenbindung: Ich habe viele Stammkunden, was sicher daran liegt, dass sich die Menschen bei mir wohl fühlen. Wein ist mit viel Leidenschaft und Gemütlichkeit verbunden. Darum organisiere ich etwa Degustationen, weil da die Leute zusammensitzen, etwas essen und philosophieren können. Das schätzt die Kundschaft sehr.
Haben Sie noch weitere Erfolgsrezepte?
Man muss sicher auch vom Service her das Beste bieten und versuchen, flexibel zu sein. Meine Kundschaft kann bei mir bestellen, und am nächsten Tag – bestenfalls sogar am gleichen – ist die Ware nach Hause geliefert. Freude haben die Kunden auch immer an den Weihnachtsgeschenken.

Wie sind Sie überhaupt in der Weinbranche gelandet? Angeblich haben Sie erst mit 32 mit dem Weintrinken angefangen.
Das stimmt. Erst mein Mann brachte mir den Wein näher. Er interessierte sich schon vor unserem Kennenlernen und ging an Degustationen. Dazu nahm er mich mit und ich fand es sofort unheimlich spannend – die verschiedenen Länder, die Geschmäcker und all das Wissen und Können, das in den Weinen steckt. So bin ich in die Weinwelt eingetaucht. Und lernte auch gleich die ungarischen Weine kennen.
Ungarische Weine?
Ja, mein Mann hat ungarische Wurzeln. Und interessanterweise geniesst ungarischer Wein international einen sehr guten Ruf, ist aber in der Schweiz kaum bekannt. Darum beschlossen wir, in diese Marktlücke zu treten, und gründeten 2011 unser erstes Weingeschäft, das ausschliesslich ungarische Weine importierte und vertrieb.
Wie sind ungarische Weine denn?
Ungarische Weine sind von sehr guter Qualität und haben eine lange Tradition. Weltberühmt sind etwa die Tokajer-Dessertweine. Speziell sind auch die Weine aus Villány, ganz im Süden des Landes. Von dort gibt es extrem hochwertigen Rotwein. In Ungarn werden auch viele Bordeaux-Blends gemacht, einfach mit etwas mehr Sonne. Die sind dann etwas voluminöser als der Bordeaux selbst. Speziell ist auch, dass viele ungarische Winzer ihre Weine selbst lagern, bevor sie sie verkaufen. Manche Barrique-Weine bekomme ich erst, wenn sie ein paar Jahre alt und trinkreif sind.
Ihre Karriere in der Weinbranche hat sich von da an schnell entwickelt.
Ich konnte bei Mövenpick die Ausbildung als Kellermeisterin machen und arbeitete dort bis 2018 als Weinberaterin und stellvertretende Geschäftsführerin. So konnte ich mir umfassendes Wissen aneignen. Danach machte ich mich selbstständig und widmete mich ganz dem eigenen Weinhandel. Nachdem ich im 2021 eine andere Weinhandlung übernommen hatte, führte ich auch Weine aus anderen Ländern. Darum gründete ich als neue GmbH «Balatonis Wyhuus», das nun Weine aus acht Ländern verkauft.

Urania Balatoni, 50, zog mit ihrem Mann Laszlo Balatoni 2009 nach Brittnau. Danach liessen sie sich zu Magister Vini ausbilden und stiegen 2011 mit «Balatonis ungarische Weine» in den Weinhandel ein. Daneben arbeitete Urania Balatoni bei Mövenpick als Weinberaterin und stellvertretende Geschäftsleiterin der Filiale in Oftringen. 2018 machte sie sich selbstständig und gründete im Jahr 2022 «Balatonis Wyhuus», das Privatpersonen und Gastronomen in der ganzen Nordwestschweiz beliefert und berät. Urania Balatoni hat einen erwachsenen Sohn.
In einem früheren Interview meinten Sie, die Weinbranche sei eine Männerdomäne. Warum?
Das ist traditionell so. Vom Winzer bis zum Önologen waren Weinkenner früher alles Männer, die unter sich bleiben wollten. In Italien trafen wir mal einen Weinbauern, der uns erklärte, sein Betrieb könne nur, oder müsse, sein Sohn übernehmen, obwohl er auch drei Töchter hatte, die womöglich kompetenter waren. Aber diese Generation fällt nun altershalber langsam weg.
Waren Sie persönlich auch von solchen Vorurteilen betroffen?
Ja, ich habe schon einiges erlebt. Ein Kunde wollte sich beispielsweise per se nicht von mir beraten lassen, ohne dass er ein einziges Wort mit mir gewechselt hätte. Dem habe ich dann gleich die Tür gewiesen. Und Karriere zu machen, ist für Frauen im Weinbusiness immer noch etwas schwieriger als für Männer. Das habe ich in meinem Umfeld auch gesehen.
Wie gingen Sie damit um?
Eine Zeit lang habe ich das Spiel mitgespielt, aber irgendwann beschloss ich, mich selbstständig zu machen – ich hatte ja noch meine ungarischen Weine.
Was würden Sie anderen Frauen in so unangenehmen Situationen raten?
Wichtig ist, sich selbst treu zu bleiben. Wenn man gute Arbeit macht und trotzdem schlecht behandelt wird, fehlt die Wertschätzung. Das ist nicht fair. Ich bin der Meinung, dass man mal konsequent sein und sich gegebenenfalls etwas Besseres, zum Beispiel eine andere Stelle, suchen muss.
Das braucht aber auch ein Stück Mut, nicht?
Natürlich. Ich hatte zum Glück meinen Mann, der mich sehr unterstützte. Als ich selbstständig wurde, mussten wir zuerst ein bisschen untendurch. Wenn man es dann aber geschafft hat, ist man dafür dann umso stolzer, das ist ja klar.
Hat sich die Einstellung der Weinbranche Frauen gegenüber verändert, seit Sie sich darin bewegen?
Ja, heute gibt es immer mehr Frauen in dem Bereich. Sie sind Winzerinnen, Geschäftsführerinnen oder Önologinnen und machen das sehr gut. Irgendwann merkte man ja auch, dass Frauen mit ihrem guten Geruchssinn bestens in die Branche passen.
Das müssen Sie genauer erklären.
Frauen trinken anders als Männer. Sie erkennen viel mehr Aromen und Geschmacksnoten mit der Nase und können sie besser unterscheiden. Das hat mit der Sensorik zu tun, wir haben etwa 50 Prozent mehr Neuronen. Darum schmecken wir viel sensibler.
Dann sind Frauen eigentlich die besseren Weintrinker.
Wie man will. Männer trinken dafür in der Regel mehr, weil sie ja auch mehr essen. Wein und Essen muss ja immer im Verhältnis stehen. Aber allgemein setzen sich heute viele Frauen mit Wein auseinander und bilden sich auch weiter.
Haben Sie darum eine Zeit lang extra Weinkurse für Frauen angeboten?
Wir wollten den Frauen das Know-how vermitteln, in Männerrunden auch selbstbewusst ihr Urteil über Weine zu verteidigen. Nur weil sie den Wein anders schmecken, heisst das nicht, dass ihre Meinung falsch ist. Diese Kurse waren jeweils sehr gut besucht. Im Moment kann ich sie aus Kapazitätsgründen leider nicht mehr durchführen.

Wie hat sich der Weinhandel in den letzten zehn, zwanzig Jahren sonst verändert? Konsumieren die Leute anders?
Ja, definitiv. Der Weinkonsum ist generell rückläufig. Das liegt daran, dass sich die Leute allgemein viel bewusster ernähren. Früher trank man mehr und mindere Qualität. Heute darf eine Flasche Wein 20 Franken kosten. Und die trinkt man dann am Wochenende statt zu jedem Znacht.
Schadet das Ihrem Geschäft?
Nein. Meiner Meinung nach ist Wein ein Genussmittel und sollte in entsprechenden Mengen getrunken werden. In meinem Geschäft lege ich darum auch grossen Wert auf Qualität, auf sehr gute Weine. Mein Geschäftsfeld wächst also eher.
Wie äussert sich der bewusste Konsum konkret bei den Produkten?
Es steigt etwa die Nachfrage nach veganem oder alkoholfreiem Wein. Das finde ich eine gute Sache, solange das Produkt schmeckt. Vegane Weine habe ich einige, einfach, weil sie gut sind. Bei alkoholfreiem Wein bin ich skeptischer. Ich finde, Wein, dem der Alkohol entzogen wurde, schmeckt man das an. Das ist kein wirklicher Wein mehr. Da trinke ich lieber einen guten Traubensaft. Darum verkaufe ich alkoholfrei nur einen Schaumwein, der von Anfang an nicht alkoholhaltig war. Das geht.
Wie hat sich das Standing der Schweizer Weine in den letzten Jahren verändert?
Sehr stark, die Schweizer Weine haben sich wirklich gemacht. In den letzten zehn, vielleicht fünfzehn Jahren war eine extreme Entwicklung zu beobachten, die Produktion hat sich verbessert. Viele Schweizer bieten heute etwa eine moderne Kelterung an, die wegen ihrer Restsüsse aktuell beliebt ist. Schweizer Weine sind darum auf dem Markt sehr stark und halten qualitativ locker mit.
Ist es mit dem Aargauer Wein gleich?
Ja, ich habe zwei Aargauer Weine in meinem Sortiment – von Gerhard Wunderlin aus Zeiningen und Buchmann-Weine aus Wittnau – mit denen ich sehr zufrieden bin.
Da wir bei tollen Weinen sind: Was ist Ihr persönlicher Lieblingswein?
Ich sage immer: Ein Weinliebhaber kann gar keinen Lieblingswein haben, dafür gibt es zu viele gute Weine aus der ganzen Welt. Da möchte ich mich nicht festlegen. Aber wenn ich meine Leidenschaft zusammenfassen müsste, dann lande ich doch wieder bei meinen Ungarn. Der Tulipán hier etwa, ein Rotwein, ist schon einer meiner Lieblinge. Er kommt vom Südufer des Plattensees und ist eine typische Bordeaux-Blende – voluminös, kraftvoll und geschmeidig; genauso, wie ich meinen Wein mag.