Esther Pauchard ist Psychiaterin und Autorin. Im Gespräch verrät sie, wie der Klinikalltag in ihr Schreiben einfliesst.
Die Originalversion dieses Artikels erschien am 11. September 2024 im Zofinger Tagblatt.
Frau Pauchard, Sie haben sieben Krimis und zwei psychologische Sachbücher geschrieben. Was macht mehr Spass?
Esther Pauchard: Erstaunlicherweise ist es einfacher, ein Sachbuch zu schreiben. Weil ich das Wissen dafür schon habe, ich muss es nur noch verpacken. Beim Krimi-Schreiben muss ich mehr recherchieren. Das ist aber auch grossartig: in neue Welten eintauchen, Leute, Arbeitsfelder, Gegenden kennenlernen.
Haben Sie darum mit dem Schreiben begonnen?
Ich fing an zu schreiben, weil ich etwas Neues ausprobieren wollte. Ich war damals Mitte Dreissig, hatte meinen Facharzttitel und arbeitete schon länger in einer Suchtfachklinik. Ich habe eine leichte Langeweile verspürt. Darum fand ich, ich müsse mich nun neu erfinden und fing einfach mal an zu schreiben. Nach drei Monaten hatte ich ein Manuskript für einen Krimi. Bei den Verlagen rechnete ich mir als Erstautorin keine grossen Chancen aus, habe das Manuskript aber trotzdem überall eingeschickt. Schon die zweite Antwort war positiv und zack – war ich Autorin.

Esther Pauchard ist 1973 geboren und arbeitet derzeit als leitende Ärztin vom Psychiatriezentrum für junge Erwachsenen in Thun. Seit 2006 ist sie Fachärztin in Psychiatrie und Psychotherapie, sie arbeitete vorwiegend im Bereich der Suchtkrankheiten. 2010 erschien Esther Pauchards erster Kriminalroman «Jenseits der Couch», darauf folgten sechs weitere Krimis und letztes Jahr ein Ratgeber für psychische Gesundheit. Ein weiterer wird kommenden Frühling erscheinen. Esther Pauchard lebt mit ihrem Mann und den gemeinsamen Kindern in Thun.
Und warum wurde es ein Krimi und nicht etwa ein Liebesroman oder ein Gedichtband?
Diese Frage hat sich mir gar nicht gestellt. Das war einfach klar. Zu diesem Zeitpunkt in meinem Leben habe ich gerne Krimis gelesen, also musste es ein Krimi sein. Lustigerweise lese ich heute fast keine Krimis mehr, denn jetzt weiss ich, wie sie funktionieren. Wenn ein Autor versucht, ganz beiläufig etwas zu verstecken, denke ich «erwischt, ich weiss ganz genau, was du hier machst». Vielleicht nimmt das den Spass etwas.
Hauptberuflich arbeiteten Sie fast 25 Jahren als Psychiaterin und Psychotherapeutin. Wie spielen dieser Beruf und das Schreiben zusammen?
Es war mehr die neue Rolle als Autorin, als das Schreiben, das sich auf den Klinikalltag auswirkte. Der Berufsethos der Psychiater verlangt, dass wir uns sehr zurücknehmen. Als Autorin musste ich Bücher signieren, Lesungen halten und viel über mich sprechen. Das war ein Kulturschock. Irgendwann habe ich aber auch die Vorteile davon erkannt.
Die wären?
Es war unvermeidbar, dass ich als Person mehr in den Vordergrund rückte, weil Patienten mich plötzlich kannten. Daran musste ich mich zuerst gewöhnen, dann merkte ich aber, dass es in manchen Fällen gut sein kann, sich zu zeigen: Dinge, die ich selbst erlebt, aber verarbeitet und abgeschlossen habe, können dem Patienten dienlich sein, wenn ich sie ihm in einer geeigneten Form übermittle. Dann ist das etwas Verbindendes, das einen Modellcharakter haben kann.
Ihre Krimis spielen im medizinisch-psychiatrischen Bereich. Ihr Klinikalltag muss in das Schreiben eingeflossen sein. Brauchen Sie es etwa, um das Erlebte zu verarbeiten?
Die Krimis spielen nicht in einem psychiatrischen Umfeld, damit ich über mich schreiben kann. Ich wusste einfach, dass ich über etwas schreiben muss, das ich kenne, damit es auch Fleisch am Knochen hat. Als Ärztin stehe ich ja auch unter Schweigepflicht. Darum dürfte ich meine eigenen Erlebnisse gar nicht eins zu eins in die Bücher schreiben. Aber natürlich spielt meine Erfahrung eine Rolle. Ich bin mittlerweile knapp ein Vierteljahrhundert als Psychiaterin tätig. Da kommt vieles an Geschichten und Erlebnissen zusammen. Ich muss es für die Bücher einfach so verändern, dass es nicht mehr erkennbar ist.
Bei den Krimis geht es also weniger um das Verarbeiten. Gilt das auch für die Sachbücher?
Die Krimis hatten für mich eine gewisse Leichtigkeit. Es ist ein Vergnügen, sie zu schreiben. Die Sachbücher waren eher eine Möglichkeit, einen Schritt zurück aus dem Alltag zu machen: Das erste ist ein Ratgeber, wie wir mental funktionieren und unsere psychische Gesundheit fördern. Das zweite, das nächsten Frühling erscheint, geht darauf ein, wie wir Herausforderungen im Leben meistern können. Wenn sich mir bei der Arbeit in der Klinik ein Problem auftat, konnte ich das mit dem Schreiben aufgreifen. Was bedeutet das für unsere Gesellschaft? Wo müssen wir hinschauen? Wo müssen wir aufpassen? Das gab mir das Gefühl, ich könne etwas zu einer Lösung beitragen. Darum haben die Sachbücher für mich mehr Ernsthaftigkeit. Obwohl Wissen natürlich auch in die Krimis einfloss. Aber das war immer ein bisschen verborgen.
Wie meinen Sie das?
Mit den Krimis konnte ich die Psychiatrie unter die Leute bringen. In den Falten der Unterhaltung konnte ich über die Wissenschaft, über Haltungsfragen und Krankheitsbilder schreiben. Und das habe ich genutzt, um die Psychiatrie salonfähiger zu machen.
Ist das gelungen?
Ich denke schon, dass ich helfen konnte, einige Vorurteile und Illusionen abzubauen. Ich wollte, dass die Psychiatrie spürbarer wird und erhielt oft die Rückmeldung, dass die Krimis aufschlussreich waren. Eine Leserin hat mir beispielsweise erzählt, dass die Schilderung einer Schizophrenie in «Jenseits der Couch» ihr geholfen habe, die Schizophrenie-Diagnose ihrer Nichte erstmals wirklich zu verstehen. Das hat mich gefreut.
Wird Ihr nächstes Werk ein Krimi oder ein Sachbuch?
Mit den Sachbüchern ist der Aufwand als Autorin explodiert. Darum habe ich auf Ende Jahr meine Stelle als Ärztin gekündigt, um mich nächstes Jahr nur noch den Büchern zu widmen. Das nächste Buch wird wieder ein Krimi, in welche Richtung er aber geht, ist noch offen.