Von Glitzer, Federfransen und anderen Sünden – “Bsetzistei”-Beitrag


Der “Bsetzistei” ist die wöchentlich erscheinende Kolumne der Redaktorinnen und Redaktoren des Zofinger Tagblatts. Sie kann auch Auswege aus moralischen Dilemmata aufzeigen.

Die Originalversion dieses Beitrags erschien am 18. Januar 2024 im Zofinger Tagblatt.

Ich habe ein Laster. Und das sind Kleider. Leider macht es mir Spass, mich neu einzukleiden und damit jeweils auch neu zu erfinden. «Leider», weil diese Freude ins Geld geht und die Umwelt belastet. Denn, das ist ja klar, mein Kleiderschrank ist schon randvoll: Ich brauche keine neuen Kleider, sondern sollte meine Hosen und Pullis auftragen, bis ich sie guten Gewissens entsorgen kann.

Abgesehen von gelegentlichen Shopping-Sünden ist der Ausweg für mein moralisches Problem die Brockenstube.  Hier bekomme ich günstige Kleider aus zweiter Hand. Da kann man schon etwas grosszügiger mit sich selbst sein, finde ich. Ein weiterer Vorteil von Brockis ist, dass sie Schmuckstücke hervorbringen. Dort habe ich schon manche zeitlose oder originelle Stücke – Glitzer-Blusen, Shirts mit Federfransen, Samtkleider etc. – gefunden.

Auf Kleider- und Schatzsuche haben meine Freundinnen und ich viele Brockenhäuser kennengelernt. Basierend auf meiner jahrelangen Erfahrung erlaube ich mir, diese in folgende Typologie einzuteilen:

Es gibt die High-End-Brockis, die stark in Richtung Antiquitätengeschäft gehen. Ihnen fehlt das typisch «Ramschige», hier gibt es nur ausgesuchte Ware zu ebenfalls ausgesuchten Preisen. Das Gegenteil davon sind Brockenstuben, die aus dem letzten Loch pfeifen. Sie sind das schlechte Klischee von Second-Hand-Läden – kurz: schmierige Messihöhlen.

Dann gibt es einen Unterschied zwischen Stadt- und Landbrockis. Während die städtischen Hipster-Brockis regelrecht leergefegt sind, scheint die ländliche Kundschaft Brockenstuben zu verschmähen. Hier gibt es so manche Trouvaille zu finden, die dann oft noch so billig ist, dass ich als Käuferin ein schlechtes Gewissen bekomme.

Die allerschlimmsten Brockis sind die aufgeräumten. Hier richten motivierte Mitarbeiter grossen Schaden an, weil sie Ware grosszügig ausmisten und sich so ein Urteil darüber erlauben, welche Artikel noch von Interesse sind. Oft ist in solchen Läden nur Mode aus dem letzten Jahrzehnt zu finden – und genau die interessiert niemand. Ein No-Go. Bei dem Gedanken, welche Vintage-Schätze solche Geschäfte aus Unkenntnis entsorgen, kann einem schwindlig werden.

Das führt mich direkt zu einer Lobrede auf die gute Brockenstube. Hier herrscht ordentliches Chaos. Eine attraktive Unordnung aus Farben und Materialien, die gleichzeitig anregend und überschaubar ist. Hier will man sich als Kundin reinwühlen, ohne Sorge vor der Hygiene zu haben. In guten Brockis hat sich das Sortiment wie Sedimentschichten über Jahre angelagert: Zuoberst liegen Röhrlijeans, darunter Bandshirts, dann kommen die Schulterpolster.

In solch souveränen Läden, werden auch die Preise gekonnt festgelegt. Schnäppchen sind garantiert – und trotzdem können sich die Geschäfte über Wasser halten. Da gebe ich gerne zwei, drei Franken mehr aus, damit in fünfzig Jahren dann modebewusste Kundschaft im gleichen Laden auf Bootleg-Hosen und Crop-Tops aus den  20er-Jahren stossen kann.