Beat Lüdi aus Strengelbach ist seit 45 Jahren auf der Suche nach Fossilien. Denn Millionen Jahre alte Pflanzen, Knochen und Haifischzähne sind in der Region Zofingen überall zu finden.
Die Originalversion dieses Artikels erschien am 9. Juli 2024 im Zofinger Tagblatt.
Der Stein ist so nass, dass er tropft. Beat Lüdi stört das nicht. Er bricht ein Stück davon aus dem Hang und verreibt ihn zwischen seinen Fingern. Zurück bleiben grünliche Kieselsteine. Ein deutlicher Hinweis darauf, dass er hier finden wird, was er sucht: uralte Haifischzähne.
Es ist ein verregneter, später Nachmittag im Frühling. Irgendwo im Wald von Ohmstal, hat sich Beat Lüdi eine Grabungsstelle gesucht. Sie ist hinter üppigem Grün versteckt, direkt an einem Bach gelegen. Hier blühen hüfthohe Storchenschnäbel und die Baumkronen stehen so dicht, dass der Regen, der auf sie niederprasselt, nicht durchdringt. Nur gelegentlich tropft es. Und der Boden ist vollgesogen. Ganz besonders die weichen Molasseschichten, die Beat Lüdi interessieren.

Beat Lüdi ist 59 Jahre alt, Familienvater und Maschinenmechaniker aus Strengelbach. In seiner Freizeit jagt er Fossilien – versteinerte Pflanzen, Knochen und am liebsten Haifischzähne. Diese sind in der Region Zofingen überall zu finden. Man muss nur wissen, wo suchen.
Fossilien aus der Wand schlagen
Vor 20 Millionen Jahren lag über der heutigen Schweiz ein Meer. Das Wasser erstreckte sich vom Rhonetal bis Wien. Darin tummelten sich Seekühe, Rochen, Delfine, Schildkröten und eben Haifische. Wenn sie starben, sank ihr Körper auf den Meeresgrund und verrottete, die Zähne und Knochen blieben auf dem Grund liegen. Mit der Zeit bedeckte Sand die Überreste, sie wurden hin- und hergespült, während die Ozeane sich allmählich entleerten und verschwanden. Zurück blieben die Meeresböden als Molasseschicht, auf der das Mittelland steht. Und in ihnen die Fossilien, die darauf warten, dass sie jemand befreit.

Zum Beispiel Beat Lüdi. «Hier in der Region ist es leicht, Fossilien zu finden», sagt er. Im Umkreis von 20 Kilometern um Strengelbach kennt er über 100 Fundstellen, etwa in Brittnau, Roggliswil oder Staffelbach. Überall, wo der Sandstein an die Oberfläche tritt, gelte es, genau hinzusehen. «Sind Kieselsteine und Muschelstückchen im Boden? Dann ist die Chance gut, dass sich im Sand ebenso grosse Fossilien befinden».


So auch in Ohmstal. Beat Lüdi friert an diesem regnerischen Nachmittag nicht, trägt Gummistiefel, alte Jeans und ein T-Shirt, aus dem braungebrannte Arme und der Rand eines Goldkettchens schauen. Seine weissen Haare hat er zur stacheligen Frisur hochgekämmt. Vor dem Paläontologen ragt die Sandsteinwand auf, über sie verläuft quer eine Narbe, es ist der Stein, den Bead Lüdi schon freigelegt hat. Nun treibt er wieder seinen Meissel in den Hang, ruckelt daran und verlädt die losen Brocken mit einer kleinen Militärschaufel in ein selbstgemachtes Sieb aus Holz und Drahtgitter. Damit schreitet er zum Bach und spült den Sand weg. Zurück bleiben Steine und Zähne.
Haie, die «Wunder der Natur»
In den Böden der Umgebung sind Überreste von rund 60 Haifischarten zu finden. Davon waren sieben, acht Arten gross, der Rest kleiner als einen Meter. Auch beim Fund von Ohmstal sind verschiedene Überreste dabei: Ein langer, schwarzer Koboldhaizahn, kleine Zähnchen von Riffhaien und der grosse, spitze Zahn eines Sandtigerhais. Seine Wurzel ist abgebrochen, aber im Licht chatoyiert er wie ein grauer Edelstein.

«Versteinerte Zähne sind spannender als Muscheln, weil sie auch Waffen sind», kommentiert Beat Lüdi. Überhaupt fasziniert ihn der Hai, das schöne Raubtier. Etwa, weil er sich in der Evolution seit vielen Millionen Jahren kaum mehr verändert hat, also ein perfektes Tier ist. Oder weil er ein Gebiss hat, in dem die Zähne in mehreren Reihen stehen, aus denen sie ihm bis an sein Lebensende ausfallen und nachwachsen. «Ein Wunder der Natur», findet Beat Lüdi.
Die Liebe zum Haifisch hat ihn auch zur Paläontologie geführt. Als Kind hat er in der Zofinger Chutzenhöhle zufällig einen Haifischzahn entdeckt. Da habe ihn das Jagdfieber gepackt, er habe einfach immer weitergesucht. In den letzten 45 Jahren hat er sich dazu Wissen angelesen und auch im Ausland gegraben. Konzentriert hat er sich aber immer mehr auf die Schweiz und begann, die Fossilien systematisch nach Fundstellen zu erfassen.
Darum packt er nun auch die Ohmstaler Funde sorgfältig ein und füllt den übrigen Sand in Plastiksäcke. Zuhause will er diesen genauer untersuchen.

Eine Werkstatt, eine Ausstellung und ein Labor
Das Haus der Lüdis in Strengelbach ist blitzblank – seine Gummistiefel hat Beat Lüdi noch in Ohmstal gegen Sneaker getauscht und verstaut. Im Kellergeschoss befindet sich ein kleines Institut: Ein Raum ist eine Werkstatt, in der Beat Lüdi Fossilien aus dem Stein holt oder mitgebrachten Sand verschiedentlich siebt, um den Rückstand nach Grösse zu sortieren. Das Nebenzimmer ist gleichzeitig Ausstellung und Labor. Darin sind in Vitrinen Fossilien aufgestellt aber auch ein Arbeitstisch mit Mikroskop, Pinsel und Stiftschleifer.

Hinter seinem Binokular sitze er stundenlang, sagt Beat Lüdi. Was nach dem Sieben noch übrig ist, füllt er portionenweise in kleine Plastikschälchen, um es mit einer Pinzette zu durchsuchen – die kleinsten Fossilien sind nur einen halben Millimeter gross. Rund 15 Tonnen Material habe er so schon, Portion für Portion. verarbeitet, schätzt er.
Die kleinen Zähne sind Beat Lüdi genau so wichtig wie die grossen. Mit seiner Sammlung, sie umfasst mehrere Zehntausend Exemplare, will er systematisch erfassen, wo er welche Arten fand. «Heute interessiert mich beim Graben mehr die Wissenschaft, als der Entdeckerdrang», sagt er. Entsprechend ist Beat Lüdis Lieblingszahn in der Sammlung auch nicht der Grösste (ein neun Zentimeter grosser Otodus-Zahn), sondern die gezackte Zahnreihe eines Siebenkiemerhaies der Gattung Paraheptranchias, den er erstmals in Roggliswil nachweisen konnte.

Forschung über die Schweizer Urzeit-Haie
Beat Lüdi hat seine Sammlung systematisch angelegt. In den Vitrinen stehen die Fossilien jeweils nach Sorte – versteinerte Pflanzen, Knochen oder Meerestiere – zusammen. Darunter liegen in vielen flachen Schubladen die Haifischzähne. Beat Lüdi hat ihnen in Plastikdosen auf Watte ein neues Bett gegeben, sie nach Art sortiert und die Schubladen nach Fundorten etikettiert.

Das digitale Pendant zur Ausstellung bilden die umfassenden Tabellen und Statistiken auf seinem Computer. Im Dokument zu Ohmstal steht beispielsweise, dass er alleine dort 32 Hai- und 7 Rochenarten gefunden hat. Über seine Forschung tauscht er sich mit anderen Fachleuten aus der Schweiz und dem nahen Ausland aus: Gemeinsam führen sie auch Grabungen durch oder unterhalten eine Website über Urzeit-Haie. «Unser Ziel ist, die früheren Lebensräume zu rekonstruieren, mit ihren Tieren, Pflanzen und Lebensweisen», sagt er.
Während jeder Fund Beat Lüdis Statistiken vollständiger macht, macht er ihn auch nachdenklich. Noch gibt es in der Region genug zu forschen. An manchen Stellen findet er aber keine neuen Arten mehr, sondern nur noch vor, was er eh schon wusste. Die wissenschaftliche Redundanz droht ihn einzuholen. Wie lange er noch gräbt, weiss Beat Lüdi darum nicht. Auch noch nicht, was mit seinen Fossilien passieren sollte, wenn er mit der Paläontologie mal aufhört.

Ein Museum mit dem eigenen Namen strebt Beat Lüdi jedenfalls nicht an. Lieber würde er seine Sammlung nach Zürich oder Bern in ein naturhistorisches Museum geben. Das wäre dann an eine Universität angeschlossen, die Fossilien würden weiter der Forschung dienen. Und vielleicht würde Beat Lüdi so dereinst doch bekannt. Als der Paläontologe, dem die Schweiz das Wissen über die Mittelländer Haie und ihre Zähne verdankt.