“Was ich sah, tat schon weh» – Förster erinnern sich an Orkan Lothar


1999 zog Lothar eine Spur der Verwüstung durch die Schweiz. «Die damals zerstörten Stellen sind heute noch zu erkennen», sagen Förster aus der Region Zofingen.  

Die Originalversion dieses Artikels erschien am 27. Dezember 2024 im Zofinger Tagblatt.

Er kam ganz unerwartet. Die Wettervorhersage im Zofinger Tagblatt hatte für den 26. Dezember 1999 Niederschlag und «einen mässigen bis starken Westwind» gemeldet. Doch es kam Lothar. Er fegte mit bis zu 230 km/h über die Schweiz und hinterliess eine Spur der Verwüstung: Über 10 Millionen Bäume, das waren 2 Prozent der Schweizer Bäume bzw. 12,7 Millionen Kubikmeter Holz, warf er zu Boden. Laut Bundesamt für Umwelt entstanden Gebäudeschäden in der Höhe von 600 Millionen Franken. 14 Menschen hat Lothar getötet und zahlreiche verletzt.  

Auch die Region Zofingen war verwüstet. Vielerorts fiel der Strom aus. Manche Familien waren tagelang von der Aussenwelt abgeschnitten, weil ihre Zufahrtswege blockiert waren. Dächer wurden abgedeckt und eine 254-jährige Linde auf dem Heitern-Platz entwurzelt. Bei der «Alarmstelle der Stadtpolizei Zofingen sind 130 Schadenmeldungen eingegangen. 19 Feuerwehren mussten alarmiert werden», hiess es am 27. Dezember im Tagblatt und der Brittnauer Förster schätzte, dass allein in seinem Revier 30’000 Kubikmeter Holz fielen. 

So sah die Zerstörung der Region Zofingen aus (Archivbilder Zofinger Tagblatt):

Es folgten tagelange Räumungsarbeiten. Weil Schnee fiel, durfte der Wald noch länger nicht betreten werden. Zu gross war die Gefahr durch herabfallende Äste oder umstürzende Bäume. Der erste Augenschein vor Ort dürfte danach wohl vielen im Gedächtnis geblieben sein. 

Der Wald hat sein eigenes Tempo

Während die Dächer wieder gedeckt wurden und Wunden verheilten, dauerte es für den Wald länger, sich von dem Orkan zu erholen. Nach 25 Jahren jedoch ist zu sehen, was aus den Sturmschäden geworden ist.

Hans-Rudolf Hochuli war 1999 Betriebsleiter des Forstbetriebs Reitnau. Während Lothar tobte, war er  unterwegs, beobachtete, wie Bäume umfielen und befürchtete das Schlimmste. «Im Vergleich kamen wir in Reitnau aber glimpflich davon», sagt er heute, «einige Stellen hat es leergeräumt, die Schäden begrenzen sich auf die Hügelkuppen.»

Der Schaden in Reitnau auf einer Hügelkuppe. Bild: zvg / HH

Schlimmer traf es das Forstrevier Kölliken. Dort fielen Lothar 22 Hektaren Wald, 10’000 Kubikmeter, zum Opfer, besonders im Tann, Richtung Gretzenbach. «Ich ging am Tag darauf in den Wald – was ich sah, tat schon weh. All diese Verwüstung», sagt Peter Suter, der damals Betriebsleiter war.  

Holzschlag war eine grosse Belastung

Das einzig Positive an dem Schaden? Der Zeitpunkt war wenigstens für den Holzverkauf günstig. Anfang Winter war die Nachfrage gross. Darum machte sich Peter Suter und sein Team unverzüglich daran, zu holzen und den Wald zu räumen.

Das ist eine besonders gefährliche Arbeit. Nach einem Sturm sind Baumstämme, teils mit den Wurzeln, wie Mikadostäbchen kreuz, quer und verkeilt über den Boden verteilt. Werden sie zersägt, können sie schnell ins Rutschen geraten, zurückschnellen oder der Wurzelstock herabfallen. Das kann für die Forstarbeiter lebensgefährlich sein. 

Revierförster Peter Suter (r.) und sein Team mussten monatelang holzen. 
Archivbild: CR

Die Aufräumarbeiten hat Peter Suter darum anstrengend in Erinnerung. Nicht nur wegen der Gefahr, sondern auch wegen dem Zeitdruck. Bis im Frühling wollten er und sein Team das Räumen beendet haben. «Wir arbeiteten die Samstage durch, so schafften wir es», sagt Peter Suter. Weil der Forstbetrieb Kölliken-Safenwil das Holz verkaufen konnte, hielt sich der finanzielle Schaden schliesslich sogar in Grenzen. 

Ein gesunder Wald macht den Unterschied 

Die wirkliche Arbeit begann aber erst danach. Die Lothar-Stellen standen nach dem Räumen kahl. Solche hellen Stellen locken Brombeeren und andere Bodendecker an. Darum mussten die Förster möglichst schnell Bäume pflanzen, damit die Lichtungen nicht verwuchern. 

Wo der Wald sich selbst überlassen blieb, haben Brombeeren alles überwuchert.

In Kölliken ist dies gut gelungen. 2017 übernahm Severin Dommen das Revier, er konnte dieses Jahr in einem der Schadensgebiete wieder Holz schlagen. «An den Baumhöhen sind die damals zerstörten Stellen heute noch zu erkennen, sie haben sich hier aber gut erholt», sagt er. 

Severin Dommen und Peter Suter (r.) in einem Lothar-Waldstück in Kölliken. 

Wichtig war nach dem Sturm für den Wald zweierlei. Einerseits, sofort wieder bepflanzt zu werden, damit möglichst schnell wieder Bäume verschiedenen Alters stehen. Andererseits, dass unterschiedliche Baumsorten gepflanzt wurden. Beides macht den Wald gegenüber Trockenheit, Schädlingen, aber auch Stürmen robuster. 

Lothar-Wald wird erst in Jahrzehnten rentabel sein

«Wir hatten 1999 in Reitnau bereits eine gute Durchmischung. Auch darum blieben wir vor Schlimmerem bewahrt», sagt Hans-Rudolf Hochuli. Kurz nach Lothar verliess er den Forstbetrieb und kehrte 2022 als Reitnauer Revierförster zurück. Auch er sieht deutliche Unterschiede zwischen aufgeforsteten Stellen, und denen, die der Natur überlassen blieben. An den einen stehen heute wieder 20 Meter hohe Bäume, die anderen beherrschen Brombeeren und Neophyten. «Man sieht, wo gearbeitet wurde», sagt Hochuli.

Die ungepflegten Stellen will Hans-Rudolf Hochuli Stück für Stück wieder nutzbar machen. Gerade hat er mit einer Gruppe engagierter Senioren ein gutes Stück Boden von Dornen befreit. Daneben haben sie zwischen klimarobusten Bäumen Tannen und Fichten gepflanzt, die zu Weihnachtsbäumen heranwachsen werden. 

Diese Lothar-Stelle bewirtschaftet der Forstbetrieb Reitnau wieder und pflanzte Weihnachtsbäume an. 

Bis sie gefällt werden können und Ertrag abwerfen, werden jedoch noch einige Jahrzehnte vergehen. Und auch in Kölliken wird es noch lange dauern, bis man wieder auf dem Stand von 1999 ist: «Dieser junge, 25-jährige Wald wirft für uns noch keinen Gewinn ab. Dafür sind die Bäume noch zu dünn und der Aufwand grösser», sagt Severin Dommen, «für diese Stellen werden wir noch länger draufzahlen.»